Tourette und Tic

Was sind Tics?

Tics sind zum einen leichte bis sehr heftige Bewegungen, die unwillkürlich, wiederholt und zumeist sehr rasch auftreten. Dabei kann es sich um relativ einfache Bewegungen, wie z.B. Blinzeln handeln, aber auch um komplexere Bewegungen, wie das Berühren eines bestimmten Körperteils.
Zum anderen versteht man unter Tics auch ungewollte und recht plötzliche Lutäußerungen. Das Spektrum umfasst hierbei Geräusche, wie Räuspern, ebenso wie das Ausrufen von Wörtern oder kurzen Sätzen. Tics beginnen oft in der Grundschulzeit. Motorische Tics treten in der Regel einige Jahre früher als vokale Tics auf.
In folgender Tabelle sind sowohl motorische als auch vokale Tics hinsichtlich ihrer Komplexität dargestellt:

Motorische Tics
Vokale Tics
Augenzwinkern Räuspern
Kopfnicken Grunzen
Schulterzucken Husten
Augenbrauen hochziehen Schniefen
Stirn runzeln Schnauben
Nase rümpfen Prusten
Augenrollen Quieken
Mund verziehen Pfeiffen
Armbewegungungen Silben
Beinbewegungen Summen
Grimassieren Schreien
Hüpfen Spucken
Klatschen Gesagtes des Gegenübers wiederholen
Klopfen Eigenes Gesagtes weiderholen
Aufstampfen obszöne Wörter
Gesten des Gegenübers nachahmen Sprechblockaden
obszöne Gesten sozial unangemessene Wörter

Wann handelt es sich um ein Tourette-Syndrom?

Ticstörungen werden ja nach Art und Dauer der vorliegenden Tics in folgende Diagnosen unterteilt:

Vorübergehende oder vorläufige Ticstörung

Meist kommt es hier nur zu gering ausgeprägten, relativ einfachen Bewegungen. Vokale Tics fehlen meist völlig, können aber auch vorkommen. Die Tics müssen für mindestens zwei Wochen mehrmals täglich auftreten, aber sie dürfen nicht länger als 12 Monate bestehen. Diese Diagnose tritt vor allem bei Kindern im Grundschulalter auf. Doch bei einem Großteil der Betroffenen verschwinden die Tics, ohne dass eine Behandlung nötig wäre. Bestehen die Tics auch nach einem Jahr fort, ist die Diagnose einer chronischen Ticstörung oder eines Tourette-Syndroms zu stellen. Da der Verlauf der Tics zunächst nicht vorhersehbar ist, kann statt von vorübergehender Ticstörung - weniger missverständlich - von vorläufiger Ticstörung gesprochen werden.

Chronisch motorische Ticstörung

Liegen einzelne oder mehrere motorische Tics vor und bestehen diese länger als 12 Monate wird diese Diagnose gestellt. Dabei handelt es sich vermutlich um eine milde Verlaufsform des Tourette-Syndroms. Vokale Tics fehlen hier völlig. Motorische Tics sind meist “einfacher” und weniger stark ausgeprägt. In der Adoleszenz kommt es bei vielen Betroffenen zu einer Verminderung der Tics. Verwechslungsgefahr besteht mit leichten Verlaufsformen des Tourette-Syndroms. Betroffene verstehen unter vokalen Tics oft lediglich sehr auffällige Lautproduktionen. Häufiges räuspern oder hüsteln ist dem Betroffenen häufig entweder nicht bewusst oder wird manchmal auch irrtümerlicherweise mit Erkrankungen des Bronchialsystems oder Allergien in Verbindung gebracht. Eine chronisch vokale Ticstörung, bei welcher neben Lautäußerungen keine motorischen Tics auftreten, kommt äußerst selten vor.

Kombinierte vokale und multiple motorische Tics (Tourette-Syndrom)

Beim Tourette-Syndrom bestehen sowohl mehrere motorische Tics als auch ein oder mehrere vokale Tics seit mehr als einem Jahr. Motorische und vokale Tics müssen dabei nicht zeitgleich auftreten. Die Art und Schwere der Tics varriert über den Krankheitsverlauf und auch tic-freie Intervalle von mehreren Wochen sind nicht unüblich. Bei Stress, starken Emotionen und Aufregung sind die Tics meist stärker vorhanden als bei Entspannung oder konzentrierten Tätigkeiten. Die Erkrankung kann nach außen hin mehr oder weniger sichtbar sein. Dabei können auch einfache Tics wie Räuspern oder Schulterzucken subjektiv zu einem starken Leidensdruck führen. Falsch ist jedenfalls die Auffassung, dass es sich beim Tourette-Syndrom immer um eine schwere Erkrankung handelt, die das Ausrufen von Schimpfwörtern (Koprolalie) beinhaltet. Letzteres tritt bei schwereren Verlaufsformen zwar auf, doch die Große Mehrheit der Betroffenen leidet nicht darunter. Je stärker die Symptomatik nach außen hin sichtbar ist, desto wichtiger ist es, dem Betroffenen bei der gesellschaftlichen Integration zu unterstützen.
Der Name Tourette- Syndrom stammt übrigens von George Gilles de la Tourette, ein französischer Arzt, der die Erkrankung Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben hat.

Sonstige Ticstörungen

Diese Diagnose ist dann zu stellen, wenn die Kriterien der oben genannten Tic-Erkrankungen nicht erfüllt sind. Die Tics dürfen aber gleichzeitig auch durch keine anderen Erkrankungen erklärt werden.

Was sind Ursachen von Ticstörungen

In Untersuchungen fanden sich Hinweise darauf, dass bei Patientin mit Ticstörungen Veränderungen sowohl in verschiedenen Hirnregionen als auch in Regelkreisen des Gehirns vorliegen. Da nicht selten auch innerhalb einer Familie mehrere Personen an einer Ticstörung leiden, wird auch von einem gewissen genetischen Anteil ausgegangen. Aktuell wird auch eine Beteiligung des Immunsystems bei der Entstehung von Ticstörungen diskutiert. Sicher ist allerdings, dass Stress und Konflikte Tics häufig vorübergehend verschlechtern, doch keine Ursache für die Erkrankung darstellen.

Worum geht es in der Psychotherapie?

Grundsätzlich ist jede Psychotherapie individuell - auch bei Personen mit gleicher Erkrankung. Dennoch gibt es einige Behandlungselemente die häufig an unterschiedlichen Stellen der Therapie Anwendung finden. Bei der Therapie von Ticstörungen geht es oft zunächst um das Kennenlernen der Erkrankung. Welche Tics liegen vor? Wie sehen diese genau aus? Wann sind sie stärker ausgeprägt, wann schwächer? Wie fühlt es sich an, kurz bevor ein Tic kommt?

Das Reaktionsumkehrtraining setzt an diesem sogenannten Vorgefühl an. Betroffene beschreiben das Vorgefühl häufig als ein Kribbeln oder Jucken, das durch den Tic reduziert wird. Sobald das Vorgefühl auftritt, wird eine mit dem Tic inkompatible Gegenbewegung ausgeführt, die solange gehalten wird bis das unangenehme Vorgefühl wieder abnimmt. So wird bei Kopfschüttteln beispielsweise die Nackenmuskulatur angespannt und das Kinn leicht nach unten geneigt. Das Reaktionsumkehrtraining eignet sich vor allem bei wenigen Tics.

Liegen viele Tics vor, kann das gleichzeitige Ausführen von Alternativbewegungen sehr schwierig werden und es empfiehlt sich das Expositionstraining mit Reaktionsverhinderung. Es zielt darauf ab, die Abfolge von Vorgefühl und Tic zu unterbrechen. Es wird geübt, das Vorgefühl für längere Zeit, optimalerweise so lange bis es wieder abnimmt, auszuhalten und die Ausführung des Tics zu verhindern. Anders als beim Reaktionsumkehrtraining wird hier keine Gegenbewegung eingeübt.

Entspannungsübungen, wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen (PMR), können darüber hinaus helfen, das körperliche Anspannungsniveau zu reduzieren und hierüber indirekt Tics reduzieren.

Auch der Umgang mit und die Bewertung der Erkrankung sind oft Thema im Rahmen einer Psychotherapie. Hier ist ein selbsticherer und sozial kompetenter Umgang mit der Erkrankung bei Reduktion von ungerechtfertigten Schamgefühlen wichtig. Gab oder gibt es Mobbingerfahrungen ist dieser Aspekt umso zentraler. Hier können bei entsprechender Vorbereitung auch Übungen außerhalb des Therapiezimmers hilfreich sein.

Treten Ticstörungen zusammen mit weiteren Erkrankungen wie sozialen Ängsten, Zwangsstörungen, ADHS oder einer Depressionen auf, werden im Gespräch zunächst mögliche Zusammenhänge zwischen den Symptomen besprochen. Je nach aktueller Belastung und Zielen des Patienten wird gemeinsam ein Therapieplan erstellt, der die Reduktion der gesamten Symptomatik umfasst und zu einer höheren Lebensqualität verhelfen soll.

Wann macht eine Psychotherapie Sinn?

Für viele Betroffen oder Familienangehörige eines betroffenen Kindes ermöglichen Informationen über die Erkrankung bereits eine ausreichende Entlastung, sodass ungerechtfertigte Befürchtungen und Schuldgefühle abgebaut und auf eine weiterführende Behandlung verzichtet werden kann. Insbesondere im Kindesalter sind Tics häufig nur sehr gering ausgeprägt und führen zu keiner Beeinträchtigung. In diesen Fällen empfiehlt es sich, zunächst abzuwarten. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Beeinträchtigung nicht nur von der Stärke der Tics abhängt. So können Kinder mit starken Tics sozial gut eingebunden sein, während Kinder mit leichten Tics ausgegrenzt und gehänselt werden und aufgrund der emotionalen Belastung einer Unterstützung bedürfen. Im Rahmen eines Erstgesprächs kann im persönlichen Kontakt in der Regel recht zügig eingeschätzt werden, ob eine Ticstörung vorliegt und ob ob eine Psychotherapie bei Ihnen oder Ihrem Kind angebracht ist.

Gibt es auch alternative Behandlungsansätze?

Den Austausch mit anderen Betroffenen empfinden Viele als wichtige Unterstützung im Umgang mit der Erkrankung. Die Selbsthilfegruppen bieten zudem interessante Infobroschüren zu der Erkrankung und möglichen Hilfen, wie einem schulischen Nachteilsausgleich. Im deutschsprachigen Raum sind hier die Tourette-Gesellschaft-Deutschland e.V. und der InteressenVerband-Tourette-Syndrom zu nennen.

Im Einzelfall kann auch der Einsatz einer Medikation dem Betroffenen einer Erleichterung ermöglichen. Hier gibt es diverse Medikamente, die zumeist in die Gruppe der Antipsychotika fallen. Diese wurden nicht speziell für die Therapie des Tourette-Syndroms entwickelt. Vielmehr finden sie meist Anwendung bei Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis. Heute weiß man allerdings, dass sich einige dieser Medikamente auch reduzierend auf die Tics auswirken, da sie auf das Dopaminsystem im Gehirn Einfluss nehmen. Da manche Betroffene mit Nebenwirkungen zu kämpfen haben, empfiehlt es sich oft zunächst auf verhaltenstherapeutische Interventionen zurückzugreifen. Nach aktuellen Hinweisen, scheinen auch Cannabinoide einen positiven Effekt auf den Verlauf der Erkrankung zu haben. In Zukunft könnten Sie eine vielversprechende medikamentöse Alternative darstellen. Sollte eine Medikation in Ihrem Fall in Erwägung gezogen werden, kooperiere ich mit der Tourette-Ambulanz der Psychiatrischen Klinik der LMU.